"Architektur zwischen Gebrauchsgegenstand und Kunst"

Jürgen Tietz

Jürgen Tietz ist Kunsthistoriker und freier Autor, er hat in zahlreichen Vorträgen, Aufsätzen und Artikeln die Nachkriegsbauten wieder ins Blickfeld gerückt, zuletzt bei unserer Podiumsdiskussion über die Ostmoderne.


Diskussion

Frage Moderation:
Herr Tietz, der KAUFHOF-Fassade am Alexanderplatz (Baujahr 1967-70) wird gerade das charakteristische Blechkleid abgerissen und soll durch eine banale Hülle aus Naturstein und Glas ersetzt werden (eine Initiative junger Architekten und Künstler wehrt sich gegen die spurlose Entsorgung, siehe auch interesse@34-jahre-kaufen.de). Das sogenannte Ahornblatt (Baujahr 1972-73) auf der Fischerinsel musste wegen einer Blockrandbebauung weichen, obwohl der Investor mit einer Hochhausbebauung auf dem Grundstück das Gebäude retten wollte. Nun ist der Palast der Republik dran (Baujahr 1973-76). Äquivalente Architekturklassiker in anderen Städten Deutschlands stehen unter Denkmalschutz. Warum nicht in Berlin?

Antwort Herr Tietz:
Ich fürchte, dass auch der Denkmalschutz allein noch keine Bestandsgarantie für ein erhaltenswertes Gebäude bedeutet. Schließlich stand das Ahornblatt ja unter Denkmalschutz. Abgerissen wurde es dennoch, da seine Erhaltung politisch nicht gewollt war.
Und auch in anderen Städten der Bundesrepublik stehen Bauten der Nachkriegsmoderne, vor allem auch der DDR-Architektur, unter einem zerstörerischen Veränderungsdruck. Schauen sie nur nach Dresden: Dort wird die Prager Straße, ein herausragendes Monument der späten Moderne, durch mittelmäßige architektonische Ergänzungen und Umbauten in ihrem Erscheinungsbild entstellt. Und auch die Reduzierung der Straßenbreite getreu dem Vorbild der "europäischen Stadt" führt dazu, dass der Straße inzwischen Platzcharakter zukommt. Statt zu einer Qualifizierung der Prager Straße zu gelangen, die ihrer Denkmalbedeutung als Beispiel der DDR-Moderne gerecht wird, wird sie in ein unpassendes städtebauliches Korsett gezwängt, so dass es kaum verwundern kann, dass das Ergebnis keine Seite befriedigt.


Frage Moderation:
Es wird immer viel über die DDR-geschichtliche Belastung des Palastes der Republik gesprochen, die den Abriss rechtfertigen würde. Der Reichstag, ein ähnlich grosses Gebäude in der Mitte Berlins, ist auch geschichtlich belastet und durfte stehen bleiben. Heute gilt er bereits als ein baukulturelles Vorbild für die Verbindung von Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Können Sie uns kurz die Qualitäten des Reichstages und des Palastes der Republik aus architekturhistorischer Sicht beschreiben?

Antwort Herr Tietz:
Der Reichstag erscheint mir nicht als ein besonders geschichtsbelastetes Gebäude - trotz des Reichtagsbrandes. Da gibt es in Berlin - in Deutschland überhaupt - Bauten, die einen höheren Grad an "Belastung" durch das "Dritte Reich" aufweisen, das Olympiastadion etwa, wenngleich dort diese Bedeutungsebene ja inzwischen weitgehend ausgeblendet wird. Der Reichstag zeigt aber etwas anderes ganz deutlich: nämlich was passiert, wenn man eine Nutzungsschicht aus einem Gebäude ausschaltet. Im Fall des Reichstags war dies die Umgestaltung durch die Bundesbaudirektion und Paul Baumgarten nach 1945. Durch sie wurde der Reichstag zu einem der wichtigsten Denkmale für das Verständnis West-Berlins. Davon sehen sie nach Norman Fosters Entkernung des Bauwerks heute nichts mehr - nicht einmal mehr ein einzigen Raum!

Und der Palast der Republik? Schauen sie sich bitte einmal in dem Raum um, in dem wir heute sitzen. Es handelt sich um ein architektonisches Gerippe, dem seine bauzeitlichen Oberflächen verloren gegangen sind! Den Palast der Republik, sowie er errichtet wurde, gibt es nicht mehr - und er wird auch nicht mehr zurückkehren. Was es noch gibt sind nur noch Haut und Kochen jenes Gebäudes, der einmal der Palast der Republik gewesen ist. Und dieses Gerüst, diesen Torso gilt es neu zu bespielen und in Besitz zu nehmen. Damit erübrigt sich für mich letztlich die Frage nach dem Grad der Belastung dieses Gebäudes, da es ja in seiner DDR-zeitlichen Gestalt gar nicht mehr existiert.